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Herausforderungen an die pädagogischen Fachkräfte

Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung folgt dem Motto: Vielfalt respektieren, Ausgrenzung widerstehen.  Fachkräfte brauchen einen geschärften Blick für Unterschiede und für Einseitigkeiten. Wie erwerben sie die Brille, mit der sie diversitätsbewusst und diskriminierungskritisch sehen können? Indem sie sich, ihre eigenen Norm- und Wertvorstellungen und ihre Praxis reflektieren.

Jeden Einzelfall überdenken

Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung hat eine klare Wertorientierung: Unterschiede sind gut, diskriminierende Vorstellungen und Handlungsweisen sind es nicht. Respekt für die Vielfalt findet eine Grenze, wo unfaire Äußerungen und Handlungen im Spiel sind. Es gehe darum, so Louise Derman-Sparks (1989), die Spannung zwischen dem "Respektieren von Unterschieden" und dem "Nicht-Akzeptieren von Vorstellungen und Handlungen, die unfair sind", jeweils kreativ auszutragen. Es muss also in jedem Einzelfall überprüft und untersucht werden: Ist das fair? Ist das gerecht? Entspricht das der Wahrheit oder ist es eine Verzerrung, um sich über Menschen lustig zu machen? Die Lernumgebung muss entsprechend verändert werden: Stereotype und einseitige Darstellungen von Menschen haben hier keinen Platz, die Ausstattung wird um fehlende Aspekte von Vielfalt ergänzt. Einseitigkeiten und Diskriminierungen werden mit den Kindern thematisiert.

Die eigenen Wertvorstellungen sind nicht absolut

Der Vorgang der "Dezentrierung"

Das alles verlangt viel von den Fachkräften: Sie sind aufgefordert, immer wieder kritisch zu überprüfen, wie weit sie in der Lage sind, Menschen eine Lebensgestaltung zuzugestehen, die sich von ihrer eigenen unterscheidet. Es ist ein Vorgang der "Dezentrierung": Man versucht, seine eigenen Norm- und Wertvorstellungen nicht absolut zu setzen, sie nicht als die einzig wahren Grundlagen sinnvoller Lebensgestaltung zu behaupten. Das heißt: Respekt zu entwickeln für unterschiedliche Antworten auf die Grundfragen menschlichen Daseins.

Wie bewerte ich meine Umwelt?

Dazu gehört die Reflexion des eigenen Umgangs mit Unterschieden: Wie steht man zu bestimmten Unterschieden? Wie findet man es, dass in einer Familie nicht gemeinsam gegessen wird – ist es kein "richtiges" Familienleben? Diese Mutter mit Gehbehinderung – will man ihr ein zweites Kind ausreden? Der Vater, der nicht arbeitet – meint man, er bemühe sich nicht wirklich? Die allein erziehende Mutter - tut sie einem Leid? Findet man, die katholische Mutter übertreibe es mit ihrer Religiosität? Und dass dem Sohn des lesbischen Elternpaars letztendlich doch der Vater fehle?

Irritationen sind Wegweiser

Die eigenen Irritationen sind wichtig: Sie geben wertvolle Hinweise auf das eigene Normen- und Wertegefüge und können der Anlass sein, sich dieses zu vergegenwärtigen. Wie bin ich zu dieser Überzeugung gekommen? Und warum denke ich, dass sie wichtig ist, wie begründe ich sie? Das eigene Wertesystem gehört in der Regel zu den nicht weiter hinterfragten Selbstverständlichkeiten, die man in seinem "kulturellen Gepäck" mit sich herumträgt. Unter "Seinesgleichen" besteht auch kein Anlass, es auszupacken und zu erklären. Man tut dies nur, wenn andere es nicht verstehen oder dadurch in Frage stellen, dass sie etwas ganz anderes richtig finden.

An Gemeinsamkeiten ansetzen - Unterschiede beschreiben

Um Licht in die eigenen blinden Flecken zu bringen, muss diese Gelegenheit des In-Frage-Stellens geschaffen und gesucht werden. Es geht darum, Raum zu geben für andere Erfahrungen von Menschen, sie anzuhören, wissen-suchende Fragen an sie zu stellen, sie kennen lernen zu wollen. Günstig ist, eine Fragestellung zu wählen, zu der alle Beteiligten etwas sagen können. Was und wie sie es sagen, wird unterschiedlich sein. Es entspricht einem Prinzip der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung: An Gemeinsamkeiten ansetzen und von da aus Unterschiede beschreiben.

Das Familienspiel - ein Memoryspiel für die Praxis

Ausschnitt aus dem Cover des Spiels; (c) KINDERWELTEN

KINDERWELTEN hat ein Familienspiel entwickelt, das zu einer Auseinandersetzung mit vielfältigen Familienkonstellationen und –kulturen auffordert: Es sind 36 Memory-Kartenpaare, die jeweils ein Kind und ein Kind mit seiner Familie zeigen. Eine ausführliche Handreichung enthält Anregungen, was außer dem "klassischen" Memory mit den Karten gemacht werden kann, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu thematisieren. "Suchen und finden" lautet eine Aufforderung, bei der es darum geht, ganz genau auf die Details zu schauen.

Die Rezension des Familienspiels auf bibernetz.de gibt Ihnen weitere Informationen zu diesem Memoryspiel.

Schlussfolgerung

Kinder konstruieren ihre Bildungsprozesse eigensinnig, aber nicht in einem luftleeren Raum. Sie bauen auch die impliziten Botschaften ihrer Bezugspersonen über gut und böse, richtig und falsch in ihr soziales Wissen über die Menschen und über die Regeln ihres Zusammenlebens ein. Zurückhaltung der Erwachsenen ist gefragt bei der Rücknahme von Belehrungsaktivitäten auf Grund der realistischen Einschätzung, dass Kinder nicht einfach das lernen, was sie ihnen beizubringen versuchen. In moralischer Hinsicht hingegen dürfen sich Erzieherinnen und Erzieher in der Kita nicht "raushalten", denn damit bestätigen sie herrschende Mechanismen von Ungleichbehandlung und Ausgrenzung. Sie müssen explizit Stellung dagegen beziehen. Gleichzeitig sind sie verantwortlich für die Gestaltung der Lernumgebung: Eine Lernumgebung, die allen Kindern Schutz und Zugehörigkeit zusichert, in der respektvoll mit Unterschieden umgegangen wird und in der Kinder lernen, sich gegen Hänseleien, Ausschluss und Ungerechtigkeit zu wehren. Bildungsprozesse unterstützt man nicht mit moralischen Enthaltungen, sondern mit Klarheit und Dialogbereitschaft.

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"Es ist normal, dass wir verschieden sind."
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