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Konzepte zählen, nicht das Alter

Die Redewendung "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" kennt jeder. Doch gilt sie auch für die Aneignung von Fremdsprachenkenntnissen? Ist es unbedingt nötig, dass Kinder schon in Kindergarten und Grundschule andere Sprachen lernen?

Keine Belege für "kritisches Zeitfenster"

Gerade Neurowissenschaftler vertreten gerne die These, es gebe ein "kritisches Zeitfenster", um Fremdsprachen bestmöglich zu erlernen. Diese Theorie geht auf den amerikanischen Biologen Eric Lenneberg zurück, der bereits Mitte der 1960er Jahre erklärte, das Gehirn sei für den Spracherwerb nur etwa bis zur Pubertät empfänglich. Danach könnten Fremdsprachen nur vermittelt gelernt werden – mit deutlich schlechteren Ergebnissen. Auch prominente Sprachwissenschaftler wie der US-Amerikaner Michael Long vertreten die Theorie, dass das Erlernen von Fremdsprachen auf dem Niveau von Muttersprachlern nach dem sechsten Lebensjahr immer schwieriger, nach dem 15. Lebensjahr praktisch unmöglich sei. Empirisch bewiesen ist das jedoch nicht. "Es gibt aus der Sicht der Sprachwissenschaft bis heute keine eindeutigen Belege für die Existenz eines kritischen Zeitfensters", sagt Thorsten Piske, Professor für englische Linguistik und Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd.

Wer früh anfängt, hat mehr Zeit zum Lernen

Die Anhänger der Zeitfenster-Theorie vernachlässigen zudem soziale und kognitive Faktoren. Dass frühe Lernende eine Sprache besser beherrschen, liegt nicht allein an besonderen biologischen Gegebenheiten oder intellektuellen Fähigkeiten. Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, haben schlicht mehr Zeit, die Sprachen zu lernen. Und sie fühlen sich in der Kultur ihres Heimatlandes noch nicht so heimisch, dass diese zum "Hindernis" werden kann. Denn mit der Muttersprache lernen Menschen eben nicht nur Wörter und Grammatik, sondern auch Normen und Verhaltensweisen.

In jedem Alter können Sprachen erlernt werden

So stimmt es zwar, dass sich die Aussprache im Allgemeinen besser entwickelt, wenn eine Sprache früh gelernt wird. Für Wortschatz und Grammatik gilt dies jedoch nicht zwingend. Der Pole Józef Korzeniowski etwa, besser bekannt unter seinem Autorennamen Joseph Conrad, eignete sich noch im Alter von 20 Jahren die englische Sprache virtuos an. Genausowenig wie frühkindliches Lernen also aus allen Menschen automatisch Sprachgenies macht, ist es für spätere Lernende ausgeschlossen, eine Zweitsprache perfekt zu beherrschen.

"Teuflischer Bruch" – der Übergang zur Sekundarstufe

Das Erlernen von Fremdsprachen erfolgt je nach Entwicklungsstadium vollkommen unterschiedlich. Am Ende der Grundschule ist das Hörverstehen und elementare Sprechen bei Kindern normalerweise ausgebildet. Mehr können Eltern, Lehrerinnen und Lehrer zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht erwarten. Beim Übergang in die Sekundarstufe (ab Klasse 5) passiert dann das, was der Eichstätter Englischdidaktiker Heiner Böttger einen "teuflischen Bruch" nennt: Lehrerinnen und Lehrer fangen an, die Fehler der Kleinen zu zählen – und wundern sich über deren mangelnde Kenntnisse. Wo zuvor das spielerische Erlernen im Vordergrund stand, werden die Kinder plötzlich auf Grammatik und Rechtschreibung gedrillt.

Wichtig sind pädagogische Konzepte

Fazit: Die hohen Erwartungen an frühkindliches Fremdsprachenlernen werden zwar nicht immer erfüllt. Grundsätzlich gilt allerdings: Wer früh mit Fremdsprachen in Berührung kommt, lernt sie auch leichter. Das bedeutet aber nicht, dass Eltern ihren Kindern die Zukunft verbauen, wenn sie keine zweisprachige Kita in ihrer Nähe finden. Ein "kritisches Zeitfenster" für den Spracherwerb existiert nämlich nicht. Wichtig ist vielmehr, dass durchgängige pädagogische Konzepte existieren und auch umgesetzt werden.

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