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"Kinder sind kleine Theologen"

Religiöse Fragen beschäftigen auch schon kleine Kinder. Interreligiöse Bildung sollte deshalb auch ein fester Bestandteil des Kindergartenalltags sein, fordert Dr. Albert Biesinger, Professor für katholische Religionspädagogik an der Universität Tübingen.

BIBER: Gemeinsam mit Ihrem evangelischen Kollegen Friedrich Schweitzer leiten Sie das Forschungsprojekt "Interkulturelle und interreligiöse Bildung in Kindertagesstätten". 2007 wurde eine Pilotstudie durchgeführt. Worum geht es dabei?

Biesinger: Seit Jahrzehnten gibt es nun schon Forschungsprojekte zur interkulturellen Erziehung - wegen der Herausforderungen der Migration und Integration – und dazu liegen auch viele Ergebnisse vor. Aber diese Untersuchungen lassen in der Regel die religiöse Thematik außen vor. Sehr viele Menschen wachsen aber mit Religion auf und das kann man nicht einfach draußen lassen, wenn man interkulturelle Erziehung erforschen will. Deshalb bearbeiten wir den Zusammenhang zwischen interkultureller und interreligiöser Bildung.

BIBER: Was versteht man unter "Interreligiösem Lernen"?

Biesinger: Interreligiöses Lernen meint lernen zwischen den einzelnen Religionen. Es geht darum, dass Kinder, die aus ihrer Religion kommen oder gar keine haben, lernen, dass es andere Religionen gibt und diese sich von der eigenen unterscheiden. Das ist für unsere Gesellschaft sehr wichtig, denn die Generation, die heute in die Kitas geht, wird unser Jahrhundert prägen und religiöse Verständigung bringt mehr Frieden. Religiöse Sprachlosigkeit dagegen baut Unverständnis, Fremdheit und Vorurteile auf. Wichtig ist die Freundschaft zwischen den Religionen. Deshalb will interreligiöse Bildung beispielsweise bei Christen die weit verbreitete Islamphobie abbauen, und bei Moslems versteckte Aggressionen gegen Christen.

BIBER: Warum ist das im Kindergartenalltag wichtig?

Biesinger: Kinder sind quasi kleine Theologinnen und Theologen, sie sprechen über religiöse Bräuche, die sie in ihrem Elternhaus erleben – das hat auch unsere Pilotstudie gezeigt. Beispielsweise gibt es Kinder, die wollen auf einmal morgens kein Wurstbrot mehr in die Kita mitnehmen und wenn die Eltern nachfragen, heißt es: "Weil ich dann in die Hölle komme." Andere diskutieren, ob Jesus größer ist oder Allah, oder sie tauschen sich darüber aus, dass der eine Papa zuhause auf einem Gebetsteppich betet und der andere gar nicht.

Wir müssen die religiöse Orientierungssuche von Kindern würdigen, sie darin unterstützen und begleiten – auch indem man religiöse Konflikt positiv aufgreift und daraus Lerngelegenheiten macht. Wenn man Kindern den Hintergrund erklärt, warum Moslems – aber auch Juden - kein Schweinefleisch essen, lernen Kinder etwas Wesentliches: Die Anderen als Andere wahrzunehmen, sie zu respektieren und zu verstehen, warum sie etwas anders machen. Das ist ein wichtiges Bildungsziel.

BIBER: Greifen die Kitas denn die vielfältige religiös-kulturelle Herkunft der Kinder im Sinne einer interreligiösen Erziehung auf?

Biesinger: Vorweg zunächst einmal: Unsere Pilotstudie ist noch nicht repräsentativ, sondern hat vorwiegend Ballungsgebiete betrachtet. Bei der Befragung kam heraus, dass die interreligiöse Bildung zu wenig vorkommt und die Kinder mit ihren religiösen Fragen häufig im Regen stehen. In kirchlichen Einrichtungen findet zwar grundsätzlich religiöse Erziehung statt, aber vor allem christliche. Im Bereich der interreligiösen Bildung sind auch diese nicht weit genug; in nicht-kirchlichen Kitas ist es etwas schlechter. Dabei ist die religiöse Bildung für Kindergartenkinder in den Bildungsplänen vieler Bundesländer verpflichtend vorgeschrieben. Man muss aber auch sagen, dass die Erzieherinnen und Erzieher von der interreligiösen Thematik überrollt sind, denn das kam in ihrer Ausbildung bisher nicht vor. Entsprechend überfüllt sind Fortbildungen zu diesem Thema.

BIBER: Welche Möglichkeiten gäbe es denn, um interreligiöse Bildung im Kita-Alltag umzusetzen?

Biesinger: Solche Lernmodule zu entwerfen wird eigentlich der letzte Schritt unseres Forschungsprojekts sein. Ein ganz wichtiger Bereich ist, die Rituale im Jahreskreis aufzugreifen: Was feiern die Christen an Weihnachten? Warum feiern sie St. Martin und Nikolaus? Was ist los bei Ramadan? Zu letzterem könnte eine Kindergartengruppe zum Beispiel eine muslimische Mutter oder Lehrerin einladen, die allen Kindern erklärt, was Ramadan ist und worauf das zurückgeht. Bei all diesen Fragen geht es durchaus darum, die Differenzen zwischen den Religionen aufzuzeigen und nicht abzuschleifen – denn Kinder lernen an Differenzen.

BIBER: Wie geht es mit dem Forschungsprojekt weiter?

Biesinger: Wir bereiten derzeit eine repräsentative Studie vor, in der Eltern sowie Erzieherinnen und Erzieher befragt werden. Außerdem wird es dafür qualitative Gespräche mit über 100 Kindern geben. Das Ergebnis ist eine Bestandsaufnahme für Deutschland und soll im Sommer 2011 abgeschlossen sein.

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Interreligiöse Bildung im Kindergarten
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