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"Kindheit hat sich völlig verändert"

Freies Bewegen, abwechslungsreiche Körper- und Sinneserfahrungen fehlen heute im Alltag vieler Kinder. Die Bonner Kita "Wolke 7" hat deshalb Bewegung, Wahrnehmung und Entspannung zu ihren Schwerpunkten gemacht. "Wichtig ist uns ist ein rhythmisierter Tagesablauf, in dem sich aktive Phasen mit Erholungsphasen abwechseln", erklärt die Leiterin Simone Cox.

BIBER: Die "Wolke 7" ist eine Psychomotorische Kindertagesstätte. Was heißt das?

Simone Cox: Der Begriff beinhaltet die Worte Psyche und Motorik und bedeutet, dass beide Bereiche eng miteinander verknüpft sind. Kinder drücken ihre Emotionen immer auch durch Körpersprache aus, wenn sie zum Beispiel vor Freude hüpfen oder wütend mit dem Fuß aufstampfen. Und in keinem Lebensalter spielt Bewegung eine so große Rolle wie in der Kindheit. Kinder rennen, springen, klettern und schaukeln mit großer Begeisterung, so oft sie Gelegenheit dazu haben, und das ist immer mit Empfindungen verbunden. Daran knüpfen wir an und versuchen durch vielfältige Wahrnehmungs - und Bewegungserfahrungen über das Spiel und selbstbestimmtes Tun eine gesunde Entwicklung zu fördern.

BIBER: Bewegung und Wahrnehmung sind demnach die Schwerpunkte Ihrer pädagogischen Arbeit?

Cox: Ja, denn Kinder lernen über die Bereiche Wahrnehmung und Bewegung. Das kindliche Denken fängt beim Säugling damit an, dass er Gegenstände greift, fühlt, in den Mund steckt und dadurch Informationen erhält, zum Beispiel dass etwas glatt und kalt und rund ist. Das steckt auch in den Wörtern "Be-Greifen" oder "Er-Fassen". Gezielte, gesteuerte Bewegung ist eine elementare Form des Denkens und wichtig für die Vernetzung der Synapsen im Gehirn. So kann beispielsweise ein Kind Buchstaben nur dann lernen und erkennen, wenn es ihre Lage im Raum einordnen kann, ob also der Bogen nach rechts oder links, oben oder unten gehört. Und diese Raum-Lage-Wahrnehmung baut sich über den Körper und die Bewegung auf, wenn das Kind zum Beispiel beim Turnen auf den Kasten klettert oder sich beim Spielen hinter dem Baum versteckt.

BIBER: Ein weiterer Schwerpunkt ist Entspannung.

Cox: Ja, wichtig ist uns ein rhythmisierter Tagesablauf, in dem sich aktive Phasen mit Entspannungsphasen oder auch bewegte und sitzende Tätigkeiten abwechseln. Deshalb bieten wir den Kindern immer wieder Möglichkeiten sich zurückzuziehen, um durch Ruhe- und Stilleerfahrungen ihre "Energiebatterie" wieder aufzuladen – beispielsweise wenn sie im Nebenraum in einer Kleingruppe spielen, gemeinsam ein Bilderbuch anschauen, eine Atemübung machen oder sich gegenseitig mit Igelbällen massieren. Auch unser Außengelände bietet Rückzugsnischen wie eine von Büschen abgeschirmte Schaukel oder Bambushecken, in denen sich die Kinder verkriechen können. Diese Gegenpole sind uns auch in unserer Projektarbeit wichtig. Wir haben zum Beispiel als Bewegungsangebot die "Rollerbande", die in einer Kleingruppe über zehn Einheiten hinweg mit dem Roller Gleichgewicht, Geschicklichkeit und Ausdauer schulen. Im Gegensatz dazu ist die "Sonneninsel", eine Entspannungsreihe, bei der Kinder intensive Sinnes- und Körpererfahrungen machen können. Wichtige Elemente dieses Angebots sind kindgemäße Stilleübungen, Rituale und Entspannungsspiele.

BIBER: Ist Ihr Eindruck, dass Gesundheitserziehung in Kitas heute wichtiger ist als vor zehn oder 20 Jahren?

Cox: Auf jeden Fall. Die Kindheit hat sich ja völlig verändert. Die meisten Kinder sind heute in Betreuungseinrichtungen, oft ganztags. Ihre Freizeit ist verplant, der Medienkonsum hat zugenommen und sie sind selten selbstständig mobil – weil sie von den Eltern gefahren werden und in der Stadt das auch häufig nicht möglich ist. Und dort wo sie sich bewegen können, sind es künstlich angelegte Spielplätze. Über Felder und Wiesen streifen, auf Bäume klettern, Holzhütten bauen, das ist heute – außer auf dem Land – fast nicht mehr möglich. Deshalb fehlen vielen Kindern Körper- und Sinneserfahrungen im Alltag.
Aber Gesundheitserziehung ist nicht nur Bewegung an der frischen Luft, gesundes Essen, Zähne putzen und Hände waschen. Neben einer gesunden körperlichen Entwicklung wollen wir auch die persönliche und soziale Entwicklung der Kinder fördern, in dem wir ihr Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl stärken. Das hilft belastende Situationen – sei es gesundheitlich oder emotional – zu bewältigen.

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