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"Kinder sind wie frühe Naturforscher"

Naturwissenschaftliche Phänomene umgeben uns täglich, "deshalb gehört das selbstverständlich auch zum Bildungsbereich im Kindergarten", sagt Florian Mannchen von der Stiftung "Haus der kleinen Forscher". Es gehe aber nicht darum, einen Lehrplan zu erfüllen, sondern die Phänomene aufzugreifen, die Kinder in ihrem Alltag beobachten und erleben.

BIBER: Wenn mein Kind einen Käfer beobachtet oder Wasser in verschiedene Gefäße umfüllt, ist das nicht einfach nur Spieltrieb statt "Forscher-Neugier"? Neigen wir heutzutage nicht dazu, alles in Richtung Bildung aufzublasen?

Florian Mannchen: Wenn ein Kind sich mit seiner Umwelt auseinandersetzt, finden ganz automatisch viele wichtige Prozesse statt – egal ob man das dann "spielen" oder "lernen" nennt. Man hat viel zu lange gedacht, erst kommt das Spielen in der Kita und wenn die Kinder in die Schule gehen, dann lernen sie. Diese Trennung ist Unsinn. Das Bild vom "kleinen Forscher" passt eigentlich gut. Denn was für uns Erwachsene längst alltäglich ist, nimmt ein Kind irgendwann zum ersten Mal bewusst wahr. Das hat durchaus Parallelen zu den frühen Naturforschern, die überhaupt erstmal wissen wollten, was es alles Spannendes zu entdecken gibt in der Welt. Kinder machen sich ihr ganz eigenes Bild von der Welt – sie "bilden" sich.

BIBER: Sollten Eltern, Erzieherinnen und Erzieher das aufgreifen und mit dem Kind seine Beobachtungen besprechen oder die Phänomene erklären?

Florian Mannchen: Jedenfalls sollte man das Kind bei seiner Erkundung der Welt begleiten. Wenn ich zum Beispiel bemerke, dass mein Kind gerade mit großer Freude Wasser umfüllt, dann stelle ich ihm noch mehr Gefäße zur Verfügung, zunächst ohne ihm etwas zu erklären. Irgendwann kommt der (fragende) Blick zum Erwachsenen. Dann kann es entweder einen neuen Impuls oder einen Dialog geben. Das zu beobachten und zu entscheiden, wann der Moment gekommen ist, um über die Beobachtung des Kindes zu sprechen, ist eine der wichtigsten Aufgaben von Eltern und Pädagogen. Statt Erklärungen zu geben, ist es aber viel spannender, Kinder nach ihren eigenen Vermutungen zu fragen. Dann läuft man auch nicht Gefahr, einem Kind Dinge zu erzählen, die es gerade gar nicht interessieren.

BIBER: Warum ist es wichtig, Kinder schon im Kindergartenalter an Naturwissenschaften heranzuführen?

Florian Mannchen: Naturwissenschaftliche Phänomene und Technik umgeben uns ohnehin von morgens bis abends und deshalb gehört dieser Bildungsbereich selbstverständlich auch in den Kindergarten. Wenn der Trinkbecher beispielsweise beim Eingießen nicht überläuft, dann hat das was mit Oberflächenspannung zu tun. Dem Kind ist es zwar piepegal, dass das so heißt, aber das Phänomen an sich ist vielleicht gerade spannend. So was kann man dann aufgreifen und zum Beispiel Wasser auf eine Münze pipettieren und Wasserberge bauen – wenn es dem Kind Spaß macht.

BIBER: Für welche (naturwissenschaftlichen) Fragen interessieren sich Vorschulkinder am meisten?

Florian Mannchen: Darauf gibt es keine generelle Antwort. Kinder interessieren sich für viele Dinge, die sie im Alltag wahrnehmen, und das ist individuell unterschiedlich. Für die einen sind das die Dinos aus dem Bilderbuch oder Museum, andere finden vielleicht den Marienkäfer gerade interessant oder die Frage, warum es regnet. Deshalb ist es so wichtig, Kinder zu beobachten und mit ihnen zu sprechen. Anders kann ich nicht herausfinden, was ein Kind gerade beschäftigt.

BIBER: Wie sollte Naturwissenschaft in Kitas sinnvollerweise vermittelt werden?

Florian Mannchen: Von "Vermittlung" würde ich in diesem Zusammenhang nicht sprechen wollen. Wie gesagt, am besten ist, wenn Erzieherinnen und Erzieher Dinge aufgreifen, die die Kinder beobachten und erleben. Es gibt viele Experimente, die sind spektakulär und aufregend, aber im Alltag und für das Leben der Kinder völlig bedeutungslos. Viel spannender ist das umgekehrte Vorgehen, nämlich aus einer Beobachtung ein Experiment zu machen. Damit Kinder aber etwas beobachten können, brauchen sie eine anregungsreiche Umgebung. Käfer kann man nur draußen beobachten und schön wäre, wenn im Regal neben den Malsachen und Bilderbüchern auch eine Lupe liegt. Wasser können Kinder nur hin und her schütten, wenn ihnen Gefäße zur Verfügung stehen. Dann kann man einen Schritt weitergehen, beispielsweise Fragen zu den Beobachtungen anregen, weitere Materialien heranziehen, um die Möglichkeiten des Kindes zu erweitern oder ein Experiment daraus machen.

BIBER: Geht es auch darum, theoretisches Wissen zu vermitteln?

Florian Mannchen: Nein, im Kindergarten nicht, jedenfalls nicht, wenn Sie dabei an Formeln oder Merksätze denken. Bei Kindern entsteht beim Experimenten oft eine Wenn-Dann-Beziehung: Wenn ich das mache, dann passiert das! Das ist doch schon ein sehr wertvolles Ergebnis. Übrigens gibt es auch nicht "die" kindgerechte Erklärung, denn jedes Kind ist anders. Um Worte zu begreifen, brauchen wir eine entsprechende Erfahrung. Jedes Kind verfügt über ein eigenes Vorwissen und braucht deshalb auch individuelle Herangehensweisen. Erwachsene können Kindern aber Erfahrungen ermöglichen und diese nutzen, um gemeinsam mit dem Kind wieder ein Stückchen mehr diese Welt zu begreifen. Im Prinzip geht es darum, dem Kind eine Brücke zu bauen, damit es sich die Frage selbst beantworten kann. Kinder suchen oft gar keine naturwissenschaftliche Erklärung, sondern wollen einfach "nur" den Sinn verstehen.

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