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Aggressionen und Gewalt begegnen

Das Handbuch zur Konfliktbewältigung in der Kita überzeugt durch die gelungene Verbindung von Theorie und Praxis: Das theoretische Wissen wird immer im Zusammenhang mit Fallbeispielen vermittelt. Übungen, Methoden und Spiele ermöglichen die Selbstreflexion und geben Handlungsspielraum.

Ausschnitt des Buchcovers;  © Bildungsverlag EINS

Aggressionen gehören zum menschlichen Leben dazu. Übersetzt man das Wort aus dem Lateinischen, so bedeutet Aggression "voranschreiten". Aggressionen können also durchaus auch als positiv betrachtet werden, sie sind wie die Liebe ein elementarer Teil des Mensch-Seins. Nun beklagen pädagogische Fachkräfte eine Zunahme von Gewalt und Aggressionen unter Kindern und Jugendlichen. Wenn auch –  wie der Kinderpsychologe Wolfgang Bergmann es nennt – die "moralisierende Weichwasch-Pädagogik" schon kleinste Anzeichen aggressiven Verhaltens reglementiert, sind die Untersuchungen, die ein vermehrtes Auftreten von Streitereien und Handgreiflichkeiten schon bei jüngeren Kindern nachweisen, ernst zu nehmen.

Systemisch-ressourcenorientierter Ansatz

"Aggressionen und Gewalt begegnen: Konfliktbewältigung in der Kita" ist im Bildungsverlag EINS in der Reihe "Soziale und Emotionale Bildung" erschienen. Der Autor des Buches, Dr. Ergan Focali, Dozent für Pädagogik und Soziologie an verschiedenen (Fach-)Hochschulen in Berlin, wendet sich vor allem an Erzieherinnen und Erzieher sowie Tagesmütter und Tagesväter. In sechs Kapiteln setzt er sich mit folgenden Schwerpunkten auseinander: Soziales Lernen, Umgang mit Aggressionen und Gewalt, Möglichkeiten der Konfliktbearbeitung, Erziehungsmittel, Grundlagen der Kommunikation und Zusammenarbeit mit Eltern. Der Zugang zu den Themen Aggression und Gewalt richtet sich an einer systemisch-ressourcenorientierten Perspektive auf Kinder und Eltern aus. So erhalten die Leserinnen und Leser im ersten Kapitel eine Einführung in die Grundlagen systemischen Denkens und der Ressourcenorientierung in der pädagogischen Arbeit.

Aggressionstheorien und Chancen von Konflikten

Ansätze und Typologien

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem Thema Aggression. Was bedeutet Aggression? Wo entsteht Aggression und wo beginnt Gewalt? Da es in der Fachwissenschaft keinen Konsens darüber gibt, wie Aggression entsteht, erläutert Focali die drei bekanntesten theoretischen Ansätze zur Entstehung von Aggressionen: Die Triebtheorie basierend auf der Psychoanalyse Sigmund Freuds, die behavioristische Lerntheorie und die Frustrations-Aggressionstheorie. Dass sowohl Aggressionen wie auch Konflikte, die im folgenden Kapitel behandelt werden, nicht nur negativ zu bewerten sind, sondern in der pädagogischen Arbeit mit Kindern auch Lernchancen bieten, stellt der Autor des Buches deutlich heraus. Kinder brauchen das Erleben von Konflikten für ihre soziale Entwicklung: Wenn sie lernen, Konflikte konstruktiv zu lösen, gehen sie gestärkt daraus hervor. Negativ sind Auseinandersetzungen nur dann, wenn sie verdrängt oder vermieden werden. Focali stellt vier verschiedene Typen des Umgangs mit Konflikten vor.

Umgang mit Konflikten durch

•

Kampf

•

Flucht

•

Aushandeln oder Finden einer eigenen Lösung

•

Delegation der Entscheidung / Unterwerfen unter einen Schiedsspruch

Regeln, Grenzen, Konsequenzen

Unterschiedliche Erziehungsstile haben Auswirkungen auf Kinder. Die Versuche von Lewin und die Forschungen des Ehepaares Anne-Marie und Reinhard Tausch belegen dies deutlich. Ob autoritär, demokratisch oder Laisser-faire - die Erziehungsstile haben auch Einfluss auf den Umgang mit Konflikten, Gewalt und Aggressionen. Deshalb geht es im vierten Kapitel um Erziehungsstilforschung und um die Bedeutung von Erziehungsmitteln. Der Autor setzt sich mit Regeln, Grenzen, Konsequenzen und Strafen auseinander und betont in diesem Zusammenhang, dass Lob und Anerkennung ein förderliches Klima schaffen, das zur Gewaltprävention beiträgt.

Kommunikation und Kooperation - gewaltfreie Kommunikation

Kommunikative Fähigkeiten sind Voraussetzung für ein soziales Miteinander, also grundlegend. Das fünfte Kapitel vermittelt am Beispiel der Kommunikationsmodelle von Paul Watzlawick ("Man kann nicht nicht kommunizieren") und Friedemann Schulz von Thun (Vier–Ohren–Modell) Grundlagenwissen zur Kommunikationsforschung. Vorgestellt wird hier auch die gewaltfreie Kommunikation (Giraffen- und Wolfssprache) nach Marshall B. Rosenberg.

Zusammenarbeit mit Eltern

Zu guter Letzt: die Zusammenarbeit mit Eltern. Das letzte Kapitel macht deutlich, wie wichtig diese ist. Schließlich sind Eltern die ersten Vorbilder und haben eine Schlüsselrolle für die Entwicklung von Kindern. Auch bei der Elternarbeit ist die im ersten Kapitel dargestellte Ressourcenorientierung von großer Bedeutung.

Kurzinformationen

TitelAggressionen und Gewalt begegnen: Konfliktbewältigung in der Kita
AutorDr. Ergin Focali
VerlagBildungsverlag EINS
Erscheinungsjahr2011
Seiten140
Preis19,90 €
ISBN978-3-427-50600-3

Fazit

Theorie praxistauglich vermittelt

In der Einleitung wird das Buch "Aggressionen und Gewalt begegnen: Konfliktbewältigung in der Kita" als Praxisband bezeichnet. Dieser Bezeichnung werden die Inhalte des Buches in jedem Fall gerecht: Das theoretische Wissen steht immer in Zusammenhang mit Fallbeispielen. Es wird anschaulich und gut verständlich erklärt. Zu allen Schwerpunkten gehören Übungen, die zur Selbstreflexion anregen oder eine inhaltliche Auseinandersetzung in Bezug auf die Praxis ermöglichen. Zudem erhalten die Leserinnen und Leser am Ende der einzelnen Kapitel zahlreiche Beschreibungen von Methoden und Spielen, wie zum Beispiel Methoden des Sozialen Lernens oder Spiele zum Erlernen von Regeln und zum Erfahren von Grenzen.

Das Fernsehen ist nicht immer schuld

Ein kleiner Wermutstropfen sei erwähnt: Im ersten Fallbeispiel des Buches muss mal wieder das Fernsehen als Auslöser für auffälliges Verhalten von Kindern herhalten. Auch der Autor stellt in der Einleitung an erster Stelle einen Zusammenhang her zwischen zu viel Fernsehkonsum am Wochenende und aggressivem Verhalten. Hier wäre ein differenzierter, fachlich fundierter Blick, der dieses Buch ansonsten auszeichnet, wünschenswert gewesen. Das häufig zitierte Montagssyndrom ist nicht mehr als eine Alltagstheorie, die von keiner Studie bestätigt wird.

Empfehlenswert für Praxis und Ausbildung

Der Praxisband überzeugt ebenfalls durch eine gut strukturierte Aufbereitung der Inhalte und ein ansprechendes Layout, das Übersichtlichkeit verschafft und – aufgrund der zahlreichen Fotos – lebendig und ansprechend wirkt. Alles in allem: Ein empfehlenswertes Buch, das für die Praxis und für die Ausbildung geeignet ist.

Information zur Autorin

Doris Schalles-Öttl
ist Diplom-Pädagogin und Medienpädagogin. Sie arbeitet als Dozentin für Medienpädagogik an der Katholischen Fachakademie für Sozialpädagogik, München, und ist freiberuflich tätig, unter anderem für die Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e. V.