StartInformieren
  
 
 
 
 

Eine rundum "fehlerfreundliche Einstellung"

Der Wissenschaftsdozent und Fachautor Professor Dr. Armin Krenz fordert im Interview sowohl die Fachkräfte selbst als auch Aus- und Weiterbildungsträger dazu auf, die Professionalität und Identität pädagogisch Tätiger verstärkt in den Blick zu nehmen. Eine regelmäßige Selbstreflexion sei notwendig.

Im BIBER-Interview verdeutlicht er die komplexen Anforderungen, die frühpädagogische Fachkräfte erfüllen und regelmäßig reflektieren müssen. Ein dringendes Erfordernis ist, dass Aus-, Fort-, und Weiterbildungsangebote den Faktor der Persönlichkeitsentwicklung in den Fokus setzen und zu allen Inhalten entsprechende Vernetzungen auf- oder einbauen.

BIBER: Sie begleiten seit 27 Jahren elementarpädagogische Fachkräfte im Beruf. Was fällt Ihnen aktuell an der Situation des Berufsfeldes auf?

Prof. Dr. Krenz: Heutzutage kommen in der Elementarpädagogik ständig "neue Programme mit einem angeblich ultimativen Bildungswert für Kinder" auf den Markt, der inzwischen von Heilsversprechen regelrecht überflutet ist. Gleichzeitig ist die deutsche Elementarpädagogik von einem regelrechten Bildungswahn erfasst, so dass die Berechtigung bestimmter Ansprüche häufig nicht mehr überprüft wird. Und schließlich besteht die Gefahr, dass sich Erzieherinnen und Erzieher den vielfältigen Erwartungen aus unterschiedlichen Richtungen allzu schnell beugen und sich damit lediglich zu Erfüllungsgehilfen degradieren lassen, ohne es zu merken. Damit läuft die Elementarpädagogik Gefahr, jegliches eigenständige Profil zu verlieren und sich zum Beispiel an die Schulpädagogik kritiklos anzuhängen.

BIBER: Sie fordern von Fachkräften in Kitas, sich mit ihrer eigenen Identität und
Professionalität auseinanderzusetzen. Warum ist das für die oder den Einzelne/n wichtig?

Prof. Dr. Krenz: Drei Zitate beantworten punktgenau Ihre Frage. Zum einen hat der große Arztpädagoge Dr. Janusz Korczak den Satz geprägt: "Du kannst den anderen nur soweit bringen, wie du selbst gekommen bist". Zum anderen gibt es die Erkenntnis: "Wer aufhört, besser sein zu wollen, hört auf, gut zu sein." Und schließlich hat uns der große Kommunikationspsychologe Professor Dr. Paul Watzlawick mit seinem ersten Axiom darauf aufmerksam gemacht, dass der Mensch nicht nicht kommunizieren kann. Das heißt, dass jede elementarpädagogische Fachkraft durch ihre ganz besondere Kommunikationsgestaltung einen nachdrücklichen Einfluss auf das Verhalten von Kindern hat. Es sind eben nicht nur die Eltern, die die Persönlichkeit eines Kindes prägen, sondern auch Erzieherinnen und Erzieher, die Tag für Tag mit Kindern umgehen. Ich verweise auf die Resilienzforschung. Insofern besitzen auch elementarpädagogische Fachkräfte einen so genannten persönlichkeitsbildenden Eindruckswert auf Kinder. Dieser Tatsache müssen sich alle Fachkräfte bewusst sein und ihre Identität reflektieren, ausgerichtet auf die Frage: Inwiefern sind meine Verhaltensweisen und meine eigenen Persönlichkeitsmerkmale entwicklungsförderlich für Kinder und was trage ich durch meine Persönlichkeit, mein Verhalten und meine Arbeitsgestaltung konkret dazu bei, dass Kinder nachhaltige (!) persönlichkeitsbildende Verhaltensmerkmale aufbauen und stabilisieren können (Selbstständigkeit, Autonomie, eine sozial verantwortliche Lebensgestaltung). Schon Pestalozzi hat einmal gesagt: "Erziehung ist Liebe und Vorbild. Sonst nichts."

BIBER: Welche Haltungen erleben Sie in der Praxis und in Ihren Fortbildungen bei Pädagoginnen und Pädagogen?

Prof. Dr. Krenz: Die Bandbreite ist ebenso weit wie in allen anderen Berufen. Es gibt Erzieherinnen und Erzieher, die bei einmal gefundenen "Wahrheiten" bleiben und starr ihren "Dienst am Kind" erfüllen. Getreu dem Motto: "Was ich einmal gelernt habe, reicht mir aus". Eine solche Haltung ist selbstverständlich kontraproduktiv und widerspricht allen Qualitätsansprüchen. Des Weiteren gibt es Erzieherinnen, die ausgebrannt und resigniert ihren Alltag mit Kindern verleben. Doch glücklicherweise haben wir viele elementarpädagogische Fachkräfte, die sich engagiert, wahrnehmungsoffen, lernfreudig, selbsterfahrungsorientiert und anstrengungsbereit den vielfältigen Aufgaben der Elementarpädagogik zuwenden und immer wieder ihr berufliches Selbstverständnis sowie ihre Arbeit selbstkritisch reflektieren.

BIBER: Welchen Beitrag kann die Aus- und Weiterbildung zu einer professionellen, identitätsbewussten Haltung leisten?

Prof. Dr. Krenz: Einen durchaus hohen Beitrag! Allerdings nur, wenn Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote drei Merkmale erfüllen: Zum einen geht es um die Aktualität der Informationen aus den Bereichen der Neurobiologie, der Bildungs- und Bindungsforschung sowie der Entwicklungspsychologie. Zum anderen geht es immer stärker um eine vernetzte Betrachtung von Ergebnissen, wobei keine Disziplin auf ihrem "Alleinvertretungsrecht" beharren darf. Interdisziplinäre Betrachtungen sind notwendig und sorgen letztlich auch nur für eine vielzitierte "ganzheitliche Sichtweise" der Dinge. Und schließlich muss das "Thema" mit der lernenden Person in einer sehr engen Beziehung stehen, weil Themen nie personenunabhängig/funktional wirksam werden können.

BIBER: Wie beurteilen Sie die Akademisierung der frühpädagogischen Berufe in Hinsicht auf Professionalität und Identität?

Prof. Dr. Krenz: Wenn sich die Elementarpädagogik als eigenständige Forschungsdisziplin durchsetzen und behaupten will - was sie auch muss - dann kommt sie nicht um eine Akademisierung herum. Da gerade die Frühpädagogik eine nicht zu unterschätzende Auswirkung auf die nachhaltige Entwicklung des Menschen besitzt, ergibt sich von selbst die Forderung, elementarpädagogische Fachkräfte optimal aus- und fortzubilden. Und dazu trägt die Akademisierung entschieden bei. Allerdings auch nur dann, wenn neben einer akademisch hochwertigen Aus- und Fortbildung auch gleichzeitig der Persönlichkeitsbildung Rechnung getragen wird. Das eine ohne das andere hat in der Pädagogik keinen Wert.

Weiterlesen

>

Interview mit Prof. Dr. Krenz, Teil II

Zurück

>

Beruf im Wandel