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"Bildung ist nicht teilbar"

Um den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule für Kinder, Eltern und pädagogische Fachkräfte positiv zu gestalten ist ein dauerhafter Kontakt zwischen allen Beteiligten wichtig, betont Marcel K. Bisdorf. Er ist Rektor der Freiherr-vom-Stein-Grundschule in Heinde und Autor des Buches "Vom Kindergarten in die Grundschule".

Marcel Bisdorf; © privat

BIBER: Von pädagogisch-wissenschaftlicher Seite gibt es viel Material zum Thema "Übergang". In der Realität scheint eine institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen Kitas und Schulen aber eher die Ausnahme zu sein. Trügt das?

Marcel K. Bisdorf: Eine flächendeckende enge Zusammenarbeit ist noch nicht die Regel, das stimmt. Aber es gibt Projekte in den einzelnen Bundesländern, bei uns in Niedersachsen zum Beispiel das Modellprojekt "Brückenjahr", die die institutionelle Zusammenarbeit fördern. Schulen und Kitas, die daran teilnehmen, erhalten unter anderem zusätzliche Stunden für Lehrkräfte beziehungsweise Erzieherinnen und Erzieher. Außerdem gibt es für alle Teams aus Kindergärten und Grundschulen die Möglichkeit, gemeinsame Fortbildungen zu nutzen.

BIBER: Warum ist eine institutionalisierte Zusammenarbeit so wichtig?

Bisdorf: Weil bei uns in Deutschland die Lehrer- und Erzieherausbildung komplett getrennt ist, ist diese Trennung auch im Bildungssystem gewachsen und deutlich spürbar. Es gibt daher immer wieder Brüche beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule oder beim Wechsel der Schulformen. Auch die merkwürdige Annahme, in der Kita werde gespielt und in der Schule gelernt, untermauert einen Bruch im Bildungsweg der Kinder. Tatsächlich aber ist Bildung nicht teilbar zwischen Kindergarten und Schule: Kinder sind wissbegierig und wollen lernen, egal wo sie sind.

BIBER: Wie machen Sie das an Ihrer Schule?

Bisdorf: Wir kooperieren eng mit allen Kindergärten im Einzugsgebiet. Weil wir eine kleine Schule sind, ist das gut machbar. Seit 2007 nehmen wir auch am Modellprojekt "Brückenjahr" teil. Das hat noch einmal einen Schub gegeben und die Zusammenarbeit verbessert. Seitdem gibt es fortlaufend Lernprozesse für uns. Der erste und wichtigste Schritt ist die gegenseitige Wertschätzung, nur so können die pädagogischen Fachkräfte von Kitas und Schule zusammenfinden.

BIBER: Und wie sieht die Zusammenarbeit konkret aus?

Bisdorf: Im Rahmen von Hospitationen gehen unsere Lehrkräfte regelmäßig in die Kitas und nehmen dort an der Gruppenarbeit teil. Die Sprachüberprüfung vor der Einschulung führen wir gemeinsam in den Kindergärten durch. Mit einer vierten Klasse haben wir zum Beispiel mal die Kita besucht, als wir das Unterrichtsthema Strom hatten, und die Kitakinder haben uns Experimente gezeigt, die sie dazu gemacht hatten. Umgekehrt besuchen die Kindergartengruppen uns in der Schule und nehmen am Unterricht teil. Erzieherinnen unterrichten dann teilweise auch gemeinsam mit der Lehrerin; es geht also oft über eine Hospitation hinaus. Im Vorschuljahr kommen die Kita-Kinder einmal wöchentlich in die Schulbücherei. So lernen sie die Schule schon vorab gut kennen. Kinder mit Schulangst gibt es deshalb bei uns kaum. Zweimal im Jahr machen wir außerdem gemeinsame Dienstbesprechungen mit den Kitas und es finden gemeinsame Fortbildungen statt.

BIBER: Sie heben in Ihrem Buch immer wieder das Beispiel Schweden hervor. Was ist dort so anders beziehungsweise besser?

Bisdorf: Das Vorschuljahr findet in Schweden an den Grundschulen statt; die Erzieherinnen und Erzieher arbeiten dort mit den Vorschulkindern im Schulgebäude. Dadurch gibt es einen engen Austausch zwischen den pädagogischen Fachkräften, aber auch mit den Kindern. Der positive Blick auf das Kind – also ausgehend von den Stärken – hat einen hohen Stellenwert in Schweden. Auch die Ausbildung von Lehrkräften und Erzieherinnen und Erziehern findet in Schweden vielfach gemeinsam statt und alle werden als "Lehrer" bezeichnet. Das erhöht das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Wertschätzung der Arbeit.

Beeindruckt hat mich ein Göteborger Projekt. Dort gibt es eine Online-Plattform, auf der die Entwicklungsberichte der Kinder eingestellt werden. Die dazugehörigen Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen, aber auch das Kind haben Zugang dazu und können ihren Bericht kommentieren. Dies dient als Vorbereitung der persönlichen Gespräche. So findet ein regelmäßiger Austausch statt, bei dem auch das Kind gehört wird. Hier in Deutschland kommen wir viel zu wenig miteinander ins Gespräch, das zieht sich meist durch die ganze Schulzeit durch.

BIBER: Hängt ein guter Übergang von der Kita in die Schule vor allem davon ab, ob das Kind über ausreichende vorschulische Fertigkeiten verfügt, beispielsweise Konzentration, Stillsitzen, einen Stift führen können?

Bisdorf: Erstaunlicherweise glauben das immer noch die meisten Eltern. Manche Kinder sind in Teilbereichen vielleicht noch nicht so weit, können dafür aber vieles andere. Wir sollten mehr auf die Stärken der Kinder schauen und Schule danach individuell gestalten. Durch die enge Zusammenarbeit mit den Kitas haben wir schon vor der Einschulung ein sehr gutes Bild von den Kindern und können die Eltern entsprechend beraten. Optimal wären gemeinsame Elterngespräche mit Lehrer/in und Erzieher/in. Das haben wir noch nicht umgesetzt, aber das ist ein Ziel.

BIBER: Manche Eltern sind vielleicht gar nicht so angetan davon, dass die künftige Lehrkraft vorab schon viel über ihr Kind weiß, weil das ja auch Vorurteile befördern kann.

Bisdorf: Deshalb ist ein positiver Ansatz wichtig, nämlich in den Vordergrund zu rücken, was ein Kind schon kann und zu betonen, dass das Kind keinen "Stempel" bekommt. Informationen über die Entwicklung eines Kindes sind wichtig – trotzdem kann man unvoreingenommen sein.

BIBER: Wann sollte die Vorbereitung auf den Übergang und die Zusammenarbeit beginnen?

Bisdorf: Für die pädagogischen Fachkräfte in Kitas und Schulen ist ein dauerhafter Kontakt wichtig, der nicht nur auf das einzelne Kind bezogen ist, sondern von den Einrichtungen ausgeht. Man sollte sich beispielsweise über Termine und Themen, die in der Kita oder im Unterricht bearbeitet werden, austauschen. Nur so kann die Zusammenarbeit gut und sinnvoll funktionieren.

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